Maria Lusky (1920 - 2009)
Redebeitrag vom 6. September 2004

Liebe Bürger Und Teilnehmer unserer Montagsdemo!

Als 84jährige, blinde Frau, die sich ihr ganzes Leben für die kranken und sozial schwachen Menschen eingesetzt hat, möchte ich nicht im Abseits stehen, wenn wir gegen Hartz 4 demonstrieren. Viele alte und kranke Menschen, mit denen ich Kontakte habet, baten mich hier für sie zu sprechen und ihre Probleme kund zu tun. Ich kenne ihre Notlagen, ihre Ängste und ihre durchwachten Nächte, weil sie sich um ihre .Kinder und Enkel sorgen, wenn Hartz 4 kommt.
Vor Wochen sagte mir der Leiter eines Pharmawerkes: Wenn Ihr so verrockt seid und wieder auf die Straße geht, dann baut doch Eure Mauer wieder auf und. nehmt den Staatssicherheitsdienst wieder in Kauf. Ich war sehr empört, denn das sollte die Meinung der Westdeutschen Bundesbürger sein.
Unsere Regierung hat gar keine Ahnung, was uns Bürger hier bewegt und wie unsere .Lebenslage hier ist. Nach dem Krieg bekamen wir hier keine Witwenrenten, erst ab 1951 gab es monatlich 25 Mark Waisenrente und. Unsere Kinder nur bis zu einem Jahr einen viertel Liter Milch. Sie hatten Hillus TBC und waren geschwächt. Es war eine schlimme Zeit und nun fürchten unsere Alten, dass unsere Nachkommen, wenn die Eltern arbeitslos sind, wieder Mangel leiden, wenn Hartz 4 kommt. Früher war das Spargeld der Kinder mündelsicher auf der Bank und keiner konnte daran sich vergreifen. Heute gibt es ja kein Bankgeheimnis mehr und das Ansparen für Notlagen und das Alter ist sinnlos, wenn man gezwungen ist diese Gelder aufzubrauchen. Wenn unsere Rentner viele heute nur 500-600 € Rente erhalten und davon etwas für die Enkel sparen, damit sie, wenn wir mal nicht mehr sind, einen Ranzen oder Konfirmationsgarderobe kaufen können, ist es frivol, wenn eine Regierung an diese Gelder gehen will.
Unsere arbeitslosen Kinder. die gar keine Hoffnung auf eine Wiedereingliederung, auf einen Arbeitsplatz nach 250 erfolglosen Bewerbungen mehr haben und bei Hartz 4 sich von diesen Geld keinen Kühlschrank, Waschmaschine oder Fernseher wieder kaufen können, wenn diese Dinge kaputt sind, müssen das für Notzeiten angesparte Geld erst aufbrauchen, Was geschieht, wenn sie ihre Eltern beerdigen müssen, deren Wohnung aufgelöst und vorgerichtet werden muss. Dazu bleibt kein Geld mehr. Wo wird man uns dann verscharren? Ist nicht vielmehr dann zu erwarten, dass viele depressiv werden und einen Ausweg durch Suizid suchen. Ich kenne viele solche Fälle, selbst mein Enkel hat diesen Weg versucht, nachdem er als Bestschüler mit Abi, Bestlehrling mehrfach ausgezeichnet, wie 28 seiner Mitlehrlinge keine Anstellung bei der Bahn bekam. Zwei davon sind durch Suizid geendet,
Nun will man ja für alle Billigarbeitsstellen schaffen für 1 € Stundenlohn. Das hat mein Enkel auch gemusst. Drei Stunden täglich arbeiten für 3 Euro und die 6 € Fahrgeld zur Arbeitsstelle täglich musste er selber bezahlen und bekam auch keine Arbeitskleidung. Ich habe monatlich jedes Mal 60 € zuzahlen müssen. Also ist es auch wieder eine Lüge, wenn man ihnen verspricht, dass sie durch diese Tätigkeit etwas dazu verdienen. Nun zu unsere Sozialreform, die ein Hohn ist.
Wenn wir schon 10 € Praxisgebühr zahlen müssen, erleben wir alten Bürger, dass wir nicht mehr alle unsere benötigten Medikamente erhalten, sie werden gestrichen und vieIe müssen wir selber kaufen. Für Diabetiker Rentner kaum zu schaffen, wenn allein ein Medikament 150 € kostet.
Auch viele solch Ereignisse erleben wir in den Kliniken, die kein Interesse mehr an den alten Bürgern haben und selbst für meinen Mann hat man in der KIM ein Attest für die Hausärztin ausgestellt, indem steht, dass sie ihn auf Grund des Alters nicht mehr therapieren soll.
Wir trauen uns nicht mehr ins Krankenhaus, weil dort so viel Schlimmes passiert ist und niemand zur Rechenschaft gezogen wird, die Ärzte sich ahnungslos stellen und herausreden. Wenn also heute schon für uns Rentner eine Zweiklassenmedizin besteht, wie wird man dann erst mit den arbeitslosen Patienten dort verfahren.
Wie soll ein Arbeitsloser, der noch etwas Geld auf der Kasse hat für Notfälle, der dann das erst verleben muss und der keine Arbeitslosenhilfe mehr erhält, der dann nicht mehr krankenversichert ist, für sich und seine Familie Geld aufbringen muss, um sich in einer Kasse zu versichern. Ist es für einen angeblichen Sozialstaat nicht unerträglich, wenn seine alten Bürger keine Brille mehr bekommen, sich keine Zähne und orthopädische Schuhe mehr leisten können!
Es ist auch unerträglich, wenn wir aus den alten Bundesländern und von der Regierung immer wieder als Nichtkönner oder Faulenzer dargestellt werden. Unsere Bürger aus der DDR haben meist über ihr Rentenalter gearbeitet, um sich fürs Alter noch Geld anzusparen. Mein Mann und ich 11 Jahre über das Rentenalter. Arbeit war unser Leben und heute erleben wir, dass nach so vielen Jahren unsere Löhne nicht denen vom Westen gleichen, dass unsere Werke für 1 Mark verschleudert wurden, wir eine höhere Arbeitslosenzahl haben und man sich üerhaupt nicht die Mühe macht, uns anzuhören und unsere Ratschläge zu erwägen. Selbst an das Blindengeld macht man sich heran und hat bereits in Hannover den alten hilflosen Menschen dieses gestrichen, so dass unsere blinden Jenaer Bürger zu einer Großdemo nach Hannover fahren, um aufzuzeigen, mit welchen Ängsten und Not wir leben. Es wäre nun auch an der Zeit, dass unsere Blinden auch in Thüringen mit uns demonstrieren.
Ich bin eine parteilose Bürgerin und habe versucht Euch allen zu sagen, was unsere Alten bedrückt und mit wie vielen Ängsten sie leben.
Wir alten Bürger von Jena stehen an Eurer Seite, auch wenn viele nicht mehr mit Euch laufen können, das sollt ihr wissen.
Wir Alten werden nicht mehr lange mithelfen können. aber wir erheben unsere Stimmen und werden mitdemonstrieren, so lange uns die Füße tragen. Man kann die Zahl der Bürger, die gegen Hartz 4 sind nicht an den Demonstrationszahlen messen. Es sind viele, viele mehr, die nicht mehr mitmarschieren können. Wir rufen die Jungen auf: marschiert mit, gebt Euren Willen kund, Verhindert durch unseren Marsch, dass Hartz 4 eine Wirklichkeit wird. Es lebe die Solidargemeinschaft gegen Hartz 4!

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