Extrem gefährlich für die Demokratie

Eine Montagsdemo im Zeichen des Klassenkampfes: Die Armen werden immer ärmer, die Reichen immer reicher, wir bekommen amerikanische Verhältnisse! Das war eine der Ansagen von Thüringens DGB-Chef Frank Spieth gestern auf dem Holzmarkt. Die Schuld an der Massenarbeitslosigkeit hierzulande könne man nicht den Kommunisten geben, die trügen die Kapitalisten.

Die Polizei zählte etwa 600 Teilnehmer, letztes Woche waren es um die 750 gewesen. Das Publikum wie immer bunt gemischt. Fahnen der IG Metall, PDS-Plakate und handgefertigte Transparente waren zu sehen. Ausdrücklich begrüßt wurde gestern auch der eine oder andere Stadtrat. Und das Cinestar-Kino hatte einen überdimensionalen DDR-Ehrenkranz gehisst (auf den Filmposter zum Ostalgie-Film "Kleinruppin forever").
Hartz IV wurde von Frank Spieth als Gesetz zur programmierten Armut bezeichnet. Dabei sei eine solch "asoziale Politik" gar nicht nötig. Über vernünftige Steuerreformen, die Kapital bei Vermögen und Aktiengewinnen abschöpfen, ließen sich die leeren Kassen locker füllen. Dem Bundeskanzler empfahl der DGB-Chef, seinen Geisteszustand überprüfen zu lassen. Ernsthafte Sorgen macht sich Spieth um die Demokratie. Dass es im Bundestag keine Opposition, sondern eine neue "Nationale Front" für Sozialabbau gebe, fördere Politikverdrossenheit in Größenordnungen und sei "extrem gefährlich". Spieths Redeeifer wurde nach einer halben Stunde kurz unterbrochen, als er vom Martinshorn eines Krankenwagens übertönt wurde.

(Quelle: TLZ, 13.09.04)




Mit Optionsmodell wird sich Jena übernehmen

Hauptredner der gestrigen Montagsdemo war Thüringens DGB-Vorsitzender Frank Spieth. OTZ-Redakteur Reinhard Querengässer sprach vor seiner Rede mit ihm.

Allein im Jenaer Gewerbegebiet Göschwitz fehlen rund 100 Arbeitskräfte, Herr Spieth. Geht es wieder aufwärts und Hartz IV wird gar nicht so schlimm?

Eine Schwalbe macht doch noch keinen Sommer. Der Bedarf ist zwar erfreulich für Jena, ändert aber an der Gesamtsituation kaum etwas. 125 000 Langzeitarbeitslose in Thüringen werden im nächsten Jahr die "vollen Segnungen" von Hartz IV erfahren - darunter viele aus Jena, auch wenn die Stadt ein ostdeutscher Wachstumspol ist.

Mit einem der höchsten Pro-Kopf-Einkommen Thüringens ...

Was nützt denn dieser Durchschnittswert einem Arbeitslosengeld II-Bezieher? Es geht doch um eine gerechte Einkommensverteilung, um existenzsichernden Lohn statt der Ein-Euro-Vergütung, die nicht mehr als Aufwandspauschale ist. Auch deshalb spricht sich der DGB für einen gesetzlichen Mindestlohn aus. Der wäre übrigens gut für mehr Konsumtion und damit für wirtschaftliches Wachstum.

Jena hat das Optionsmodell zur Umsetzung von Hartz IV gewählt. Wie bewerten Sie dies ?

Ich halte das für ausgesprochen gefährlich. Die Stadt wird sich hoffnungslos übernehmen, wahrscheinlich auch finanziell. Wo will sie denn die vielen Ausbildungs- und Arbeitsplätze hernehmen, die sie zur Verfügung stellen muss? Die kommunalen Spitzenverbände haben gerade ostdeutschen Kommunen nicht ohne Grund von diesem Modell abgeraten. Im Übrigen: Über dessen Auswirkungen auf die Personalstruktur der hiesigen Agentur für Arbeit redet noch niemand.

Es sollte also auch in Jena weiter protestiert werden?

Weiterhin, mit Unterstützung auch des DGB. Das Plakat "Heute trifft es uns. Morgen trifft es euch.", das hier zu sehen ist, sagt es: Aus Beteiligten können rasch Betroffene werden. Und der soziale Absturz ist z.B. für einen langjährigen Zeissianer oder Akademiker nach einem Jahr gnadenlos. Er hat keinen Qualifizierungsschutz mehr, muss überall jede Tätigkeit annehmen. Und das ist nur ein Teil des sozialen Unrechts, das wir bei dieser gnadenlosen Vermögens-Umverteilung von unten nach oben verhindern müssen.

(Quelle: OTZ,13.09.2004)

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