Demo mit bewegter Rede von 84-jähriger Jenaerin

750 Demonstranten klatschen Beifall

Eine emotionale Rede der 84-jährigen Maria Lusky bewegte an diesem Montag die Demonstranten. 750 kamen. In der vergangenen Woche waren es noch um die 1200.

Sie habe sich immer für arme, alte und kranke Menschen eingesetzt, sagte Frau Lusky. Darum kenne sie deren Probleme. Sie selbst sei sehbehindert. Die Regierung habe keine Ahnung von der Lage in Ostdeutschland. Die DDR-Zeit sei eine sehr schlimme gewesen und nun befürchte sie, dass Alte und Kranke wieder Mangel leiden müssten. Mit aufgebrachter und kämpferischer Stimme erzählte von selbst erlebten Fällen, bei denen die Arbeitslosigkeit Menschen in die Verzweiflung getrieben habe. Die mitgerissenen Besucher klatschten zustimmend.

Mit den jüngsten Änderungen am Hartz IV-Gesetz zeigten sich die Demonstranten nicht zufrieden. Die nun veränderten Texte hätte vorher sowieso kein Gericht zugelassen, hieß es.Teilnehmer der Demonstration sagten, Ein-Euro-Jobs seien ein Hohn, weil dadudurch Jobs gefährdet würden. Viele beteiligten sich, weil sie selbst von dem Gesetz betroffen seien. Eine Frau sagte, sie sei studierte Ingenieurin, finde aber keine Arbeit, weil sie zu alt sei und kein Englisch gelernt habe.

(Quelle: OTZ, 06.09.2004)




Niedriglohn verschärft die Angst

Doris und Dietmar Karkowsky haben bedrückende Gründe dafür parat, dass sie gestern schon zum vierten Male bei der Jenaer Anti-Hartz-IV-Demo ihrem Unmut Luft machten. Beim Sozialamt ist ihnen neulich offeriert worden, Dietmar Karkowsky solle seine Lebensversicherung auflösen. Der 55-jährige Diplomingenieur ist arbeitlos, stand bei einem 40-Mann-Betrieb, Mikroelektronik, in Lohn und Brot.

Dann das Ende wegen des Prinzips "Was drei machten, schaffen auch zwei". Dann die zehn Monate Umschulung, von denen fünf auf die Arbeitslosenzeit angerechnet werden. Aber Chancen auf einen Arbeitsplatz? Wohl kaum. Doris Karkowsky war fast drei Jahre Selbstständige im Handel. "Als Geschäftsfrau bin ich selbst in die Pleite gegangen, weil keiner mehr etwas kaufen kann." Die Perspektiven machen sie wütend. Stichwort 1-Euro-Jobs. - "Den ganzen Tag arbeiten für 8 Euro, das ist eine Schweinerei. Man muss doch essen, man muss sich doch pflegen können. Es müssten noch viel mehr Leute gegen so etwas auf die Straße gehen." Ehemann Dietmar: "Die sich das ausgedacht haben, sollten selbst erst einmal versuchen, davon zu leben."

Sie wolle nicht im Abseits stehen, wenn gegen Hartz IV demonstriert wird, sagte am Demo-Mikro die 84-jährige Maria Lusky, in Jena vielen bekannt als rührige Mitstreiterin im Blinden- und Sehschwachenverband. Die alte Dame kämpferisch: "Es lebe die Solidargemeinschaft gegen Hartz IV!" Früher seien die Sparbücher mündelsicher gewesen. Es sei frivol, wenn jetzt die Regierung nach den Geldern der Kinder greift. Man möge bitte auch an diese Hartz-IV-Folge denken. Kindern und Enkeln fehle das Geld, die Alten zu beerdigen. "Wo wird man uns verscharren?"

Christl Semmisch von der Gewerkschaft Nahrungs-, Genussmittel und Gaststätten merkte gestern an, der Niedriglohnsektor sei "doch schon längst auf der Tagesordnung". Sie erinnerte an den Fall der Jenaer Stadtbäckerei, wo die Kollegen nicht den Mut gefasst hätten, einen Betriebsrat zu gründen. "Die Niedriglohnpolitik wird noch die Angst verschärfen, eigene Interessen zu vertreten."
Angaben über die Demo-Teilnehmerzahl schwankten gestern: Mitorganisator Claus Suppe sprach von 1000 bis 1500. Frank Arndt vom Jenaer Ordnungsamt schätzte 750.

(Quelle: TLZ, 06.09.2004)


zurück