Demo-Flyer





Zinsen und Kostensenkungsaufforderung (28.09.2015)
Aus der aktuellen Rechtsprechung

Nach wie vor beschäftigt das Hartz-IV-Gesetz die Sozialgerichte. Deren Urteile haben nur im Bereich der Gerichte Gültigkeit, und es können konträre Aufasssungen vertreten werden. Erst wenn das Bundes-sozialgericht über eine Angelegenheit entschieden hat, kann man sich wirklich darauf berufen.
So nun in Bezug auf die Zinsen aus einem Bausparvertrag. Diese wurden bislang als Einkommen angerechnet, obwohl sie nicht ausgezahlt, sondern gutgeschrieben werden. Eine Klage gegen dieses Verfahren hat es nun bis zum Bundessozialgericht geschafft. Und siehe da - die Richter vertraten eine andere Auffassung als viele Jobcenter. In ihrem Urteil vom 19. August 2015 (Az. B 14 AS 43 / 14 R) stellten sie klar, dass die Zinsen nur dann angerechnet werden können, wenn sie auf ein "frei verfügbares" Konto überwiesen werden. Nur wenn sie als "bereite Mittel zur Existenzsicherung" eingesetzt werden können, sind sie als Einkommen anzurechnen. Von Bedeutung ist die für Außenstehenden seltsam klingende Frage, ob es sich bei der Kostensenkungssaufforderung um einen Verwaltungsakt handelt. Gerade in Jena gibt es viele Hartz-IV-Empfänger, die nach Meinung der Behörde in zu teuren Wohnungen leben. Sie werden daher im Rahmen der Mitwirkungspflichten aufgefordert die Kosten zu senken. Wenn es sich dabei um einen Verwaltungsakt handelt, ist dagegen Widerspruch möglich. Die allgemeine Auffassung war bisher, dass die Aufforderung eine Hinweis- und Warnfunktion habe. Dies ist zum Beispiel in Jena problematisch, da bei Nichtbeachtung der Aufforderung die Mietzahlung gekürzt wird. Das Bundessozialgericht hat im Verfahren B 4 AS 27/15 B erstmals die Revision zu der Frage zugelassen, ob es möglich ist sich gegen die Aufforderung, die Unterkunftskosten zu senken, juristisch zur Wehr zu setzen.
Aber auch Urteile der Sozialgerichte sind von Bedeutung, so dass sie den Weg an die Öffentlichkeit finden. So musst das kürzlich das Sozialgericht Dresden darüber entscheiden, ob der Alleinerziehenden-Zuschlag entfällt, wenn die in der Bedarfsgemeinschaft lebende minderjährige Tochter selbst ein Kind bekommt? Nein, sagten die Richter (Urteil vom 21.08.2015, S 40 AS 1713/13) und gaben einer Frau Recht, deren 16jährige Tochter einen Sohn geboren hatte. Das Gesetz besagt, dass der Mehrbedarf bis zur Volljährigkeit des Kindes gezahlt wird. Einschränkungen wie etwa "ledig, ohne eigene Kinder" finden sich dort nicht.
Schlechte Nachrichten gibt es für arbeitslose Bürger/innen aus den Ländern der Europäischen Union. Laut Urteil des Europäischen Gerichtshofes kann Deutschland sie von Sozialleistungen ausschließen, wenn sie nicht innerhalb von sechs Monaten eine neue Arbeit finden.




Solidarität, Mitgefühl und Hilfe (21.09.2015)
Zum Umgang mit Flüchtlingen

Vor einigen Wochen auf dem Holzmarkt: am Rande der Montagsdemonstration, als über die Situation von Flüchtlingen gesprochen wird, tauchte eine Frau auf. Sie war furchtbar wütend darüber, dass immer mehr Menschen nach Deutschland kommen. "Denen wird doch alles in den A... geblasen. Und was ist mit uns?" ich versuchte mit ihr zu reden, konnten sie aber nicht beruhigen oder gar von ihrer Meinung abbringen.
Auch in der Hartz-IV-Beratung erlebte ich solche Haltungen. Einem Mann, dessen Kosten der Unterkunft gekürzt worden waren, meinte, die Stadt müsse wohl sparen, weil sie das Geld für die Flüchtlinge brauche. Ich konnte nur widersprechen und sagen, dass das einen mit dem anderen nichts zu tun hat.
Hunderte von Menschen besuchten in der vergangenen Woche das Benefizkonzert in der Jenaer Stadtkirche und spendeten mehr als 3.800 Euro Flüchtlinge. Am Wochenende protestierten aber auch in Erfurt mehr als tausend Menschen gegen die Aufnahme von Flüchtlingen. Am Thema Flüchtlinge kommt niemand vorbei: zu hoch die Zahlen, zu mächtig die Bilder. Die Menschen erleben ein neue, bisher so nicht gekannte Situation. Viele haben Angst vor dem Unbekannten, vor dem Fremden. Wie sollen sie damit umgehen? Ein Teil der Menschen hat Mitgefühl mit den Flüchtlingen, kann deren Angst nachvollziehen und möchte helfen. Andere haben Angst vor Veränderungen. Sie glauben, dass ihnen etwas weggenommen werden könnte, dass ihr Leben unsicherer würde, weil die Kriminalität steigt usw. Fakten, die dies widerlegen, wollen sie nicht wahrhaben, glauben Gerüchten. Zum Beispiel ist es ein Fakt, dass die Hartz-IV-Regelsätze ab Januar 2016 um 5 € steigen werden. Dieser Betrag wurde anhand der Preis- und Lohnentwicklung ermittelt. Es würde keinen Cent mehr Sozialleistungen geben, auch wenn nur wenige Flüchtlinge nach Deutschland kämmen. Warum haben Menschen, die wenig haben, Angst vor denen, die noch weniger haben? Es ist doch wichtiger zu fordern, dass sich die Reichen und Vermögenden finanziell an der gesellschaftlichen Herausforderung beteiligen, zum Beispiel durch die Wiedereinführung der Vermögenssteuer, Erhöhung des Spitzensteuersatzes!
Die Bundesregierung ist mit der Situation überfordert. Sie ist nun konfrontiert mit den Auswirkungen ihrer verfehlten Außenpolitik, nicht zuletzt durch die Genehmigung für Waffenverkäufe.
Für uns, die wir seit elf Jahren gegen den durch das Hartz-IV-Gesetz verursachten Sozialabbau demonstrieren, gibt es nur eine Möglichkeit mit der Situation umzugehen: Solidarität mit den Menschen zu üben, die vor Krieg und Armut zu uns geflohen sind!




Öffentliche Beschäftigung in Thüringen (14.09.2015)

In der vergangenen Woche fand in Jena eine Veranstaltung zur "Thüringer Initiative gegen Langzeitarbeitslosigkeit" statt. Gemeint war das von der Thüringer Regierung aufgelegte Programm für eine geförderte Beschäftigung von bis zu 1050 langzeitarbeitslosen Menschen. An dem vom Kommunalpolitischen Forum organisierten Informationsabend wurden noch einmal die vier "Säulen" des Programms erläutert. Vorgestellt worden war es bereits im April (siehe Flyer vom 18.05.2015), nun liegen die Richtlinien im Entwurf vor. Geplant ist, dass sie im Oktober 2015 veröffentlicht werden.
Ursprünglich war geplant, die geförderte Beschäftigung durch den so genannten Aktiv-Passiv-Transfer zu finanzieren. Der APT bedeutet, dass die "passiven" Mittel (Regelsatz und Kosten der Unterkunft) für die "aktive" Arbeitsförderung (Finanzierung der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung) eingesetzt werden. Eine solche Möglichkeit ist seit langem in der Diskussion, erfordert aber eine Änderung der Bundeshaushaltsverordnung, was bislang von der Regierung verweigert wurde. Daher will das Land Thüringen mit zwei Jobcentern einen Modellversuch starten (dritte "Säule": das Programm heißt "Mehr wert sein - Mehrwert schaffen"). Hier sollen die Kommunen Mittel für die Kosten der Unterkunft, die sie einsparen, weil die durch die geförderte Beschäftigung keine Leistungen nach dem SGB II anfallen, den Arbeitgebern zur Verfügung stellen. Ob sich die Stadt Jena beteiligt, hängt unter anderem vom Ergebnis der rechtlichen Prüfung des Vorhabens ab.
Aufgrund der rechtlichen und finanziellen Einschränkungen werden bei den anderen drei "Säulen" vorhandene gesetzliche Regelungen und Bundesprogramme erweitert. So will das Land die Kofinanzierung von bis zu 300 § 16e - Stellen übernehmen (hier fördert das Jobcenter maximal 75%) und außerdem MAEs für Erwerbslose ab 55 Jahre, die zwei Jahre finanziert werden, um drei Jahre verlängern. Dabei soll die Aufwandsentschädigung 1,50 € betragen und die Träger eine Verwaltungspauschale von 130 € pro Teilnehmer/in erhalten. Das Bundesprogramm "Soziale Teilhabe am Arbeitsmarkt" (siehe Flyer vom 14.04.2014) soll um 150, komplett vom Land finanzierte Stellen erweitert werden. In Jena könnten so voraussichtlich 10 - 12 Arbeitsplätze für ältere Arbeitslose geschaffen werden. Die organisatorische und finanzielle Abwicklung des Programms übernimmt die GfAW. Sobald die Richtlienen veröffentlicht wurde, können die Träger (zum Beispiel Vereine) Anträge stellen. Die Prüfung, ob der/die potentielle Beschäftigte den Kriterien entspricht, prüft das Jobcenter (und kann daher Kandidat/innen ablehnen). Allerdings wurde betont, dass die Teilnahme am Programm freiwillig ist.




Alter Aktionismus in neuem Programm (07.09.2015)

Wenn Gewerkschaften und Arbeitgeber gemeinsam einen Vorschlag zur Bekämpfung der Kinderarmut machen, lässt dies aufhorchen. Jedoch nur einen Moment lang, denn sobald man liest, was der am 3. September 2015 vorgestellte Aktionsplan "Zukunft für Kinder - Perspektiven für Eltern im SGB II" beinhaltet, kann man nur den Kopf schütteln und das Gefühl haben, in einer Zeitschleife festzuhängen.
Gefördert werden sollen die von der Statistik ermittelten 112.000 Familien mit schulpflichtigen Kindern, bei denen beide Eltern arbeitslos sind. Innerhalb eines Jahres sollen Vater und/oder Mutter mit Hilfe einer von speziellen Fallmanagern entwickelten "individuellen Eingliederungsstrategie" Arbeit finden. Gelingt dies trotz Qualifizierung und Lohnkostenzuschüssen nicht, soll eine befristete öffentlich geförderte sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zur Verfügung gestellt werden. Es wäre natürlich einfacher, sofort eine Stelle anzubieten, aber offenbar muss zuvor eindeutig festgestellt werden, dass diese Menschen für den Arbeitsmarkt tatsächlich nicht zu gebrauchen sind.
Um allerdings mit einem Verdienst und mehr als einem Kind über die Armutsgrenze zu gelangen, müsste dieser schon deutlich über dem Mindestlohn liegen. Daher ist zu vermuten, dass in der Mehrzahl der Fälle nach der "erfolgreichen Integration" aus arbeitslosen Eltern "Aufstocker"-Eltern werden. Also geht es mehr um die Wirkung von Arbeitslosigkeit der Eltern auf die Kinder. So wurde auch der Geschäftsführer der BDA mit folgenden Worten zitiert: "Wenn die Kinder beide Elternteile immer nur zu Hause erleben und nicht sehen, dass mindestens ein Elternteil einer Arbeit nachgeht, hat das schlimme pädagogische Auswirkungen." Der Mann hat ja nicht Unrecht, und arbeitende Arme waren den Herrschenden schon immer lieber als erwerbslose!
DGB und BDA wollen für das auf drei Jahre ausgelegte Programm jährlich 280 Millionen Euro von der Bundesregierung. Rein rechnerisch ergibt diese Summe einen Betrag von 2.500 € pro geförderter Familie. Davon können weder Qualifizierung noch Lohnkostenzuschüsse finanziert werden, geförderte Beschäftigung schon gar nicht. Wie viele Familien tatsächlich sinnvoll gefördert werden könnten, lässt der Aktionsplan offen (da es den Jobcenter freigestellt ist, sich an dem Programm zu beteiligen). Darum geht es offenbar auch nicht. Vermutlich soll gezeigt werden, dass Gewerkschaften und Arbeitgeber sich gemeinsam Gedanken um arme Kinder machen, wobei die arbeitslosen Eltern für schuldig erklärt und als Lösung bereits seit Jahren praktizierte Methoden angeboten werden, die nicht funtkionieren, da über Maßnahmen zur "Eingliederung" in Arbeit nun mal keine Arbeitsplätze entstehen und sich die Arbeitslosigkeit nicht verringert.




Zwangsverrentung: Arbeitslosigkeit wird bestraft (31.08.2015)

Einem Erwerbsloser, der seine Arbeitskraft dem Arbeitsmarkt weniger zur Verfügung stellt als zuvor, wird das Arbeitslosengeld gekürzt. Ältere Langzeitarbeitslose, die keine Chance auf dem Arbeitsmarkt haben, müssen mit Abschlägen in Rente gehen. Der Wert des Menschen wird so zunehmend nach seiner "Verwertbarkeit" auf dem Arbeitsmarkt bestimmt. Zugleich verliert die gesetzliche Rentenversicherung an Bedeutung, weil immer mehr Menschen - wenn sie nicht privat vorgesorgt haben oder es aufgrund ihres geringen Einkommens nicht konnten - ergänzend auf Grundsicherung angewiesen sind.
Das Bundessozialgericht bestätigte jetzt in einem Urteil (AZ: B 14 AS 1/15 R) die Zwangsverrentung eines Hartz-IV-Empfängers aus Duisburg (Nordrhein-Westfalen), dessen Rente deshalb um ca. 77 € geringer ausfällt.
In der Pressemitteilung des Paritätischen Wohlfahrtverbandes heißt es dazu unter anderem: "..nicht alles, was rechtens ist, ist auch richtig. Die Zwangsfrühverrentung von Hartz-IV-Beziehern ist rücksichtslos und kurzsichtig. Um die Sozialkassen kurzfristig zu entlasten, werden Menschen in die Altersarmut genötigt. Dauerhafte Rentenabschläge von leicht 7,2 und mehr Prozent lassen viele der Betroffenen auf direktem Weg in die Altersgrundsicherung rutschen. Die Verurteilung zu Altersarmut bis ans Lebensende stellt eine völlig unverhältnismäßige Härte dar."
Die Sozialgerichte prüfen jedoch "nur", ob das geltende Recht richtig angewendet wurde. Die Pflicht zur Inanspruchnahme so genannter vorrangiger Leistungen wie der Altersrente sind im § 12a SGB II verankert. Daher bleibt nur noch der Weg zum Bundesverfassungsgericht.
Die Richter des BSG verwiesen in ihrer Urteilsbegründung auf die Notwendigkeit einer Einzelfallprüfung sowie die Berücksichtigung besonderer Härten, die auch in der so genannten Unbilligkeitsverordnung festgelegt sind: nicht in die vorzeitige Rente geschickt werden darf unter anderem, wer in "naher Zukunft" eine abschlagsfreie Rente zu erwarten hat, eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ausübt, ALG I bezieht oder durch die Kürzung der Rente unter Sozialhilfeniveau fällt.
Aus diesen Gründen lässt sich eine Zwangsverrentung in vielen Fällen nicht verhindern, verzögern aber auf jeden Fall. Ein wichtiger Grund ist das mangelnde Ermessen des Jobcenter. Diese fordern ihre "Kunden" oft ohne weitere Prüfung auf, die Altersrente zu beantragen und stellen auch selbst den Antrag. Hier ist rechtliche Gegenwehr möglich. So gab das Sozialgericht Dresden (Az.: S28 AS 567/14 ER) einer Frau recht. Sie muss der Aufforderung des Jobcenters nicht Folge leisten, weil dieses nicht einmal die zu erwartende Höhe der Rente ermittelt hatte. Auf keinen Fall dürfen im Fall einer Weigerung die Leistungen eingestellt werden. Hier haben Eilverfahren Erfolg.




Mindestlohn in Deutschland (24.08.2015)
Auswirkungen geringer als vorausgesagt

Acht Monate nach der Einführung des Mindestlohns in Deutschland sind weder die Arbeitslosigkeit noch die Preise deutlich angestiegen.
Wie auch? Die zu Beginn des Jahres 2015 festgelegte Lohnuntergrenze von 8,50 € liegt nicht nur deutlich unterhalb des durchschnittlichen Lohnniveaus in Deutschland, sondern hinkt auch der Entwicklung in anderen europäischen Ländern hinterher. So liegt der Mindestlohn in Frankreich derzeit bei 9,61 €, in Großbritannien bei ca. 9,40 €. Außerdem wurden bekanntlich viele Menschen (Langzeitarbeitslose, Auszubildende, Praktikant/innen und Saisonarbeiter/innen) vom Mindestlohn ausge-schlossen. Daher ist es nicht verwunderlich, wenn die Einführung des Mindestlohns kaum Auswirkungen auf die Höhe der Arbeitslosigkeit hatte. So waren in Jena im Januar 3.870 Menschen als arbeitslos gemeldet (davon bei jenarbeit 2.488), in Juli 2015 waren es 3.888 (bei jenarbeit 2.642)
Die größten Auswirkungen hatte der Mindestlohns auf die Minijobs. So fielen laut Bundesagentur für Arbeit von Dezember 2014 zum Januar 2015 mit 255.000 Stellen drei mal so viele Minijobs weg wie in den vergangenen. Gleichzeitig wurden aber vor allem im Handel und Gaststättengewerbe neue sozialversicherungspflichtige Stellen geschaffen.
Erwartungsgemäß sind die Preise für Taxifahrten, den Besuch im Restaurant oder bei Friseur gestiegen, zu einem "Einbruch" bei den Umsätzen hat es jedoch nicht geführt, eher zur Erhöhung der Erlöse.
Wie vorhergesagt, waren die Auswirkungen im Osten des Landes größer, da hier das Lohnniveau auch 25 Jahre nach der deutschen Einheit geringer ist als in den "alten" Bundesländern.
Insgesamt wurden bei weniger Menschen die Löhne angehoben als prognostiziert, weil rund sieben Prozent der Unternehmen den Beschäftigten dies schon vor Beginn des neuen Jahres getan hatten.
Obwohl Langzeitarbeitslose vom Mindestlohn ausgeschlossen wurden, führte dies nicht zu einer erhöhten Beschäftigung. Die Unternehmen kritisieren derzeit vor allem die Dokumentationspflicht. Zugleich zeigten die Kontrollen, dass die Regeln weitgehend eingehalten werden. So wurden im ersten Halbjahr 2015 bei knapp 25.000 Prüfungen durch den Zoll 970 Verdachtsfälle gemeldet und 146 Ermittlungen wegen Verstoßes gegen das Mindestlohngesetz (weniger als 1%) eingeleitet. Wie hoch aufgrund der geringen Zahl der Prüfungen die Dunkelziffer ist, kann nicht gesagt werden.
Insgesamt sind die Auswirkungen des Mindestlohns auf die Wirtschaft also wesentlich als von den "Experten" vorausgesagt.




Arbeitslosigkeit und Arbeitszeitverkürzung (17.08.2015)

Es gibt Dinge, die kann man einfach nicht glauben - und doch sind sie wahr. Wer Vollzeit gearbeitet hat und bei Beginn der Arbeitslosigkeit angibt, nur noch Teilzeit arbeiten zu wollen, dem wird das Arbeitslosengeld gekürzt. Obwohl es sich beim ALG I um eine Versicherungsleistung handelt, für die Beiträge entsprechend des Verdienstes eingezahlt wurden, gibt es im SGB III eine solche Regelung. Auf eine Anfrage von MdB Katja Kipping vom Juni 2013 wurde dies durch die Bundesregierung wir folgt begründet: "Bei Arbeitnehmerinnen oder Arbeitnehmern, die gegenüber ihrer früheren Beschäftigung nur noch eine geringere Arbeitszeit leisten können oder wollen, ist der auszugleichende Entgeltausfall entsprechend geringer. Es ist deshalb gerechtfertigt, auch die Entgeltersatzleistung Arbeitslosengeld auf der Grundlage der verminderten Arbeitszeit zu berechnen (vgl. § 151 Absatz 5 Drittes Buch Sozialgesetzbuch)."
Nicht nur, dass eine nicht fristgerechte Arbeitslosenmeldung sofort eine Sperre nach sich zieht, auch um die Versicherungsleistung wird der Arbeitslose gebracht. Wer weniger "nützlich" ist als zuvor, also weniger wert auf dem Arbeitsmarkt, bekommt auch weniger Geld!
Dieses Problem ist kaum bekannt, da man das Arbeitsamt (noch) nicht um Erlaubnis fragen muss, auf welche Stellen man sich bewirbt. Die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit (deren Ausmaß sich durch die Einführung des Mindestlohns kaum verändert hat) ist ein Anliegen der Gewerkschaft. Die viele Jahre propagierte Verkürzung der Arbeitszeit hat offenbar ausgedient, da der dafür notwendige Lohnausgleich nicht erkämpft werden konnte. Teilzeitbeschäftigung hat zwar die Arbeitslosigkeit verringert, aber auch den Lohn. Ein neues Konzept der Gewerkschaft ver.di, das auf dem im September stattfindenden Bundeskongress vorgestellt werden soll, beinhaltet nun den Vorschlag, den Beschäftigten zwei Wochen "zur freien Verfügung" bei vollem Lohnausgleich zuzubilligen. Dies soll für Vollzeit wie für Teilzeitstellen gelten. Bei letzteren müsste allerdings die wöchentliche Arbeitszeit zuvor erhöht werden. Der Sinn des Ganzen erschließt sich mir nicht. Fakt ist, dass viele Menschen, die Vollzeit arbeiten, gern mehr Freizeit hätten, und Teilzeitbeschäftigte länger arbeiten würden, um mehr zu verdienen. Das Problem ist also weniger die Arbeitszeit, sondern die Höhe des Verdienstes. Und gerade ver.di hat mit niedrigen Löhnen zu kämpfen als andere Gewerkschaften. Es geht hier wohl eher darum, das Thema der Arbeitszeitverkürzung - hier "kurze Vollzeit für alle" genannt - wieder ins Gespräch zu bringen. Eine Verkürzung der Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich konnten bisher nur die Lokführer erreichen.




11 Jahre Protest gegen Hartz IV
und die absurden Folgen des Gesetzes (10.08.2015)

Elf Jahre sind seit Beginn der Montagsdemonstrationen gegen das so genannte Hartz-IV-Gesetz vergangen. Nicht nur in Jena, sondern auch in etlichen anderen Städten gehen nach wie vor Menschen auf die Straße, um ihren Protest zum Ausdruck zu bringen. Reicht es nicht langsam, sollte man nicht die Realität akzeptieren? Diese Frage wird von den Teilnehmenden der wöchentlichen Kundgebungen verneint, und das nicht nicht ohne Grund.
Denn nach wie vor sind nicht nur die Sozialgerichte, sondern auch die Politik mit den Auswirkungen des Gesetzes beschäftigt. So wird derzeit über Sanktionen gegen Hartz-IV-Empfänger/innen diskutiert.
Welche absurden Folgen das Gesetz hat, zeigt sich unter anderem daran, dass nicht nur Erwerbslose bei "Fehlverhalten" mit Leistungskürzungen bestraft werden, sondern auch Menschen, die einer Erwerbsarbeit nachgehen und aufgrund ihres geringen Einkommens aufstockende Leistungen erhalten. Das belegen zwei aktuelle Beispiele, die ich selbst der Beratung im MobB e.V. erleben musste. In einem Fall hatte eine alleinerziehende Frau mit zwei Kindern nach langer Arbeitslosigkeit eine 30-Stunden-Stelle bekommen. Sie soll nun eine Eingliederungsvereinbarung unterschreiben, in der nichts anderes steht, als dass sie ihre Arbeit behalten soll. Sie hält dies für nicht sinnvoll und fordert die Fallmanagerin auf, ihr die EGV als Verwaltungsakt zu schicken, damit sie eine rechtliche Prüfung vornehmen kann. Stattdessen wird sie erneut aufgefordert zu jenarbeit zu kommen um die EGV zu unterschreiben. Sie weigert sich und fordert erneut die Zusendung des Eingliederungsbescheids. Danach kommt eine Sanktion wegen des Meldeversäumnisses.
Noch schlimmer ergeht es einem Mann, der 40 Stunden pro Woche arbeitet. Er erhält einen Termin zum Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung. Obwohl der Fallmanagerin telefonisch als auch per Mail mitgeteilt wird, dass er aufgrund der Arbeitszeiten und der Entfernung zwischen Arbeitsort und jenarbeit einen Termin während der Sprechzeiten nicht wahrnehmen kann, wird er dreimal eingeladen und dreimal sanktioniert. Die vierte Sanktion droht, weil er sich nicht auf eine andere Stelle beworben hat, die nach Meinung der Fallmanagerin besser bezahlt wird, für die er jedoch nicht ausgebildet ist. Bereits vor anderthalb Jahren hatte ich im Werkausschuss von jenarbeit angefragt, warum Eingliederungsvereinbarungen mit Menschen abgeschlossen werden, die eine Vollzeitbeschäftigung haben, obwohl es - wie der Name schon sagt und es auch im Gesetz steht - um Eingliederung in Arbeit geht. Damals erhielt ich zur unter anderen zur Antwort, dass genau geprüft würde, ob die Notwendigkeit besteht, eine Eingliederungsvereinbarung abzuschließen. Laut Protokoll der öffentlichen Sitzung des Werkausschusses vom 14.01.2014 heißt es außerdem: "Eingliederungsvereinbarungen werden für Erwerbsaufstocker nicht vordergründig als Sanktionsinstrument genutzt." Leidtragende bei der ganzen Angelegenheit ist die Lebensgefährtin des Mannes, die einen Minijob hat. Ohne sie wäre er nicht auf ergänzende Leistungen angewiesen, und so verringern sich die Leistungen, die auf ihr Konto überwiesen werden, von Monat zu Monat. Hinzu kommt, dass sie weniger verdient, als vom Leistungsbetreuer angesetzt wurde und noch keine Korrektur erfolgte, obwohl die Nachweise inzwischen vorliegen.
Auch deshalb gibt es für mich keinen Grund, die Proteste zu beenden.




Kinderarmut - na und? (03.08.2015)

Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung hat im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung die Studie "Kinder- und Familienarmut: Lebensumstände von Kindern in der Grundsicherung" veröffentlicht. Laut dieser Studie wachsen 2,6 Millionen Kinder unter 15 Jahren, das sind 24% der Altersgruppe, in Familien auf, die als arm gelten müssen. Bereits bei dieser Zahl gibt es Probleme, da unterschiedliche Auffassungen darüber existieren und offiziell immer nur von "Armutsgefährdung" gesprochen wird.
In dieser Studie wird nun zwischen Familien unterschieden, die Hartz-IV-Leistungen beziehen und solchen, deren Einkommen gerade auf dieser Höhe liegt oder die ihren Anspruch nicht geltend machen. In solchen Familien leben immerhin 10,8% aller Kinder. Das Haushaltseinkommen liegt unter 60% des mittleren Einkommens. Das bedeutet bei Alleinerziehenden (Vergleichswerte von 2013) weniger als 1.144 €, bei einem Paar mit einem Kind sind es 1.848 €. (Zum Vergleich: Für einen Alleinstehenden lag die "Armutsgrenze" vor zwei Jahren bei 880 €, der Regelsatz bei 384 €. )
Wie in der Studie weiter gezeigt wird, sind Kinder und Jugendliche häufiger arm als Erwachsene, das Armutsrisiko steigt mit der Zahl der Kinder, und Alleinerziehende sowie Familien mit Migrationshintergrund sind besonders betroffen. Keine neuen Erkenntnisse. Wie kann Armut gemessen werden? Die Autor/innen führten dazu Befragungen durch. Es ging um die Grundversorgung (Wohnung, Essen Kleidung), die Existenz bestimmter Güter (Auto) sowie die Teilhabe am kulturellen und sozialen Leben.
Auch hier gibt es keine Überraschungen. Die Grundversorgung ist gewährleistet, wobei allerdings die Wohnungen häufiger Mängel aufweisen und beengte Wohnverhältnisse bestehen. Die Unterschiede beginnen bei Dingen, die als "weniger relevant" eingestuft werden: So verfügen zum Beispiel 86% aller Kinder in Hartz-IV-Familien über einen Computer, in Familien mit gesicherten Einkommensverhältnissen sind es allerdings 99%.
Noch deutlicher wird es beim Urlaub. Weniger als ein Viertel der Familien, die auf Grundsicherungsleistungen angewiesen sind, unternimmt im Jahr wenigstens eine einwöchige Urlaubsreise, im Durchschnitt der Bevölkerung sind es fast zwei Drittel. 4,9% der Haushalte mit gesichertem Einkommen verzichten darauf, "ab und zu neue Kleidung zu kaufen", bei armen Familien sind es 29%. Besonders gravierend werden die Unterschiede bei der kulturellen Teilhabe. Mehr als die Hälfte der Befragten schafft es aus finanziellen Gründen nicht, wenigsten einmal im Monat ins Kino oder Konzert zu gehen.
Zum Schluss stellen die Autor/innen fest, dass es gegenüber den 2009 vorgenommenen Untersuchungen keine wesentlichen Änderungen gab.




Kindergeld und Kinderarmut (27.07.2015)

Nachdem am 10.07.2015 der Bundesrat zugestimmt hatte, wird das Kindergeld nun rückwirkend zum 01.01.2015 um 4 € erhöht (weitere Erhöhungen folgen 2016). Ausgezahlt werden das erhöhte Kindergeld sowie die Nachzahlung voraussichtlich ab September diesen Jahres. Familien, die von Hatz IV leben (müssen), haben wieder einmal nichts davon. Denn bereits im Jahr 2010 hatte das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass das Kindergeld voll auf die Leistungen nach dem SGB II angerechnet werden darf. Das Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum werde durch die Anrechnung nicht verletzt, begründeten die Richter damals ihr Urteil.
Darüberhinaus haben alleinerziehende Erwerbstätige, die aufstockende Leistungen bekommen, nichts von der steuerlichen Entlastung für Alleinerziehende. Diese war ebenso wie die Erhöhung des Kindergeldes im Koalitionsvertrag vereinbart worden. Als aber im März 2015 die Erhöhung des Kindergeldes beschlossen wurde, war von der Erhöhung des steuerlichen Freibetrags für Alleinerziehende zunächst nicht die Rede. Eine "heftige Kontroverse" zwischen Familienministerin und Finanzminister war nötig, um diese durchzusetzen und die Erhöhung fiel geringer aus als vereinbart.
In seiner Stellungnahme kritisierte der Deutsche Kinderschutzbundes die Erhöhung des Kindergeldes als zu gering. Unter anderem heißt es dort: "Durch die geringe Anpassung des Kindergeldes wird jedoch die Schere in der derzeitigen Familienförderung verfestigt. Denn bereits jetzt werden Kinder je nach Erwerbssituation ihrer Eltern finanziell höchst ungleich gefördert: Gut- und Spitzenverdienende profitieren über den Kinderfreibetrag mit bis zu 100 Euro deutlich stärker als Normal- und Geringverdienende über das Kindergeld." (Quelle: www.dksb.de, 12.03.2015) Noch deutlicher wurde der Geschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes: "Der Finanzminister erkauft sich die ‚schwarze Null' zum Preis wachsender Ungleichheit in dieser Gesellschaft. Diese Mini-Kindergelderhöhung ist ein schlechter Witz", sagte Ulrich Schneider. "Der Verband weist daraufhin, dass bereits heute die monatliche Nettoentlastung durch die steuerlichen Kinderfreibeträge für Spitzenverdiener um 93 Euro höher ist als das Kindergeld, das Normalverdiener erhalten." (Quelle: http://www.der-paritaetische.de, 04.03.2015)
Wie eine im Mai diesen Jahres veröffentlichte Studie des IAB zeigt, leben mindestens 2,6 Millionen Kinder bis 15 Jahren in Familien, die als arm gelten müssen. Die Armut unter Kindern und Jugendlichen ist größer als unter dem Bevölkerung insgesamt. Wohlfahrtsverbände fordern daher schon lange eine eigenständige Kindergrundsicherung.




Aus der aktuellen Rechtsprechung (20.07.2015)

Zuviel gezahlte Leistungen müssen erstattet werden, auch wenn die Betroffenen selbst alles richtig gemacht haben, zum Beispiel rechtzeitig über Einkommen informiert. Es gibt jedoch eine Ausnahme: die Zeit. Wenn das Jobcenter länger als ein Jahr nach der Kenntnis der Überzahlung mit der Rückforderung wartet, kann es das Geld nicht mehr zurückfordern. Die Richter des SG Gießen (Urteil vom 05.05.2015 - S 22 AS 629/13) beriefen sich dabei auf den § 45 SGB X und gaben der Klage eines Ehepaares statt.
Eine neue Entwicklung gibt es bei der Tilgung von Mietkautionen. Die Jobcenter stellen - wenn bei Mietverträgen Kautionen erforderlich sind - diese als Darlehen zur Verfügung. Das Darlehen muss aber in Raten zurück gezahlt werden, was eine längerfristige Unterschreitung des Existenzminimums bedeutet. Schon in den ersten Jahren nach der Einführung des Hartz-IV-Gesetzes gab es Klagen dagegen. Durch die "Reform" des Gesetzes im Jahr 2011 wurde durch den § 42a SGB II eine Regelung eingeführt, der die Aufrechnung von Darlehen eine gesetzliche Grundlage gibt. Die Frage allerdings, ob auch Darlehen für Kautionen dazu gehören, wurde bislang von den Sozialgerichten unterschiedlich beantwortet. Zuletzt hatte das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 23.04.2015 - L 7 AS 1451/14) die Tilgung eines Darlehens ausgesetzt, weil es eine Kürzung der Leistungen von 10% für die Dauer von mehr als vier Jahren bedeutete hätte. Nun hat das Bundessozialgericht Rechtsanwälten die Kosten für ein Verfahren erstattet, dessen Kläger inzwischen verstorben ist und in der Begründung zumindest Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Aufrechnung geäußert, was hoffentlich bedeutet, dass es bald ein höchstrichterliches Urteil gegen die Aufrechnung von Kautionsdarlehen gibt.
Ein wichtiges Urteil hat das BSG am 25. Juni 2015 gefällt (Aktenzeichen: B 14 AS 30/14 R). Es ging um die Aufgabenverteilung von Jobcentern und Sozialgerichten. Zwar gilt vor letzteren die Amtsermittlungspflicht, aber die Sozialgerichte müssen nicht die Aufgaben der Jobcenter übernehmen. Im konkreten Fall ging um Leistungen für eine Frau und deren Sohn. Nachdem das Jobcenter zunächst Leistungen bewilligt hatte, wurde bei einem Hausbesuch festgestellt, dass der geschiedene Mann noch in der Wohnung lebte. Das Jobcenter forderte die Frau auf, Verdienstbescheinigungen des Mannes vorzulegen. Da dieser sich weigerte, strich das Jobcenter der Frau die Leistungen. Das Bundessozialgericht erklärte diese Verfahren für rechtswidrig. Das Jobcenter hätte selbst Kontakt mit dem Mann aufnehmen und ermitteln müssen, ob eine Bedarfsgemeinschaft vorliege und diese Aufgabe nicht dem Sozialgericht überlassen dürfen.

(Quellen: www.gegen-hartz.de und Rechtssprechungsticker auf www.tacheles-sozialhilfe.de)




Hartz IV und Datenschutz? (13.07.2015)

Alle zwei Jahre veröffentlicht die/der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit einen Tätigkeitsbericht. In dem jetzt vorgestellten 318 Seiten umfassenden Bericht über die Jahre 2013 und 2014 sind einige Seiten dem Thema Datenschutz in den Jobcentern gewidmet. Insgesamt sind neun Verstöße aufgeführt, was weniger als die sprichwörtliche Spitze des Eisberges sein dürfte. Zum Beispiel ging es um die Frage, ob das Jobcenter Nachweise über Konten Dritter verlangen kann, über die die Antragsteller eine Verfügungsberechtigung besitzen. (etwa von Angehörigen, Verein u.ä.). Nein, sagt die Datenschutz-beauftragte, ohne dringenden Verdacht eines Leistungsmissbrauchs sind solche Nachweise nicht erforderlich, unverhältnismäßig und verstoßen gegen den Grundsatz, dass die Daten des Betroffenen erhoben werden.
Unzulässig ist die Forderung der Jobcenter, zum Nachweis der Kosten der Unterkunft vom Vermieter ausgefüllte Bescheinigungen vorzulegen. Dieser hat nicht zu wissen, dass sein Mieter auf Sozialleistungen angewiesen ist. Daher müssen die Briefe des Jobcenters neutral aussehen und nicht mit einem großen Logo versehen sein.
Am Ende ihrer Ausführungen beklagt sich die Bundesbeauftragte über die mangelnde Mitarbeit der Jobcenter. Sie schreibt: "Jeder, der sich mit einer Eingabe an mich wendet (§ 81 Abs. 1 Nr. 1 SGB X), darf auf eine umfassende und objektive Prüfung seiner Angelegenheit vertrauen... Leider ist das Interesse einiger Jobcenter an der Aufklärung eines datenschutzrechtlichen Sachverhalts merklich geringer, als das der betroffenen Petenten. Wenn diese Jobcenter grundsätzlich erst auf meine Erinnerungsschreiben oder nur unter Androhung einer Beanstandung gemäß § 25 BDSG reagieren, wird der Datenschutz von ihren Geschäftsführungen offensichtlich noch nicht als Grundrecht der Bürger begriffen. (25. Tätigkeitsbericht zum Datenschutz 2013-2014, S.170)
Diese Kritik findet sich in der gleichen Formulierung auch in dem Tätigkeitsbericht ihres Vorgängers. Hier wird unter anderem die Praxis von Hausbesuchen bemängelt. In einem Fall war der Hausbesuchsdienst unangemeldet bei einer Frau erschienen, um zu prüfen, ob sich sich nicht nur sporadisch in ihrer Wohnung aufhalte, wie das in einer - anonymen - Anzeige behauptet worden war. Dabei hatten die Mitarbeiter eine Liste des Wohnungsinventars angefertigt!
Aufgrund von zahlreichen Beschwerden über die hohe Zahl von geforderten Unterlagen stellte der Datenschutzbeauftragte fest, dass es nicht erforderlich sei Kopien des Personalausweises in die Akte zu nehmen und auch bei Kontoauszügen müsse der Vermerk genügen, sie haben vorgelegen und keinen Auswirkungen auf den Leistungsanspruch gehabt (24. Tätigkeitsbericht zum Datenschutz 2011-2012, S. 159 f.)




Parlamentarischer Protest gegen Hartz IV (03.07.2015)

Immer wieder bringt die Fraktion DIE LINKE im Bundestag Anträge zur Änderung des Hartz-IV-Gesetzes ein, auch wenn sie immer wieder damit scheitert. So bei den Versuchen, die Sanktionen abzuschaffen.
Durch das Urteil des Sozialgerichts Altenburg, diese Leistungskürzungen als verfassungswidrig zu betrachten, wurden die Diskussionen neu entfacht. So fand im Ausschuss für Arbeit für Soziales des Bundestages am 29. Juni 2015 eine öffentliche Anhörung zum Thema statt.* Die geladenen Sachverständigen vertraten - wie nicht anders zu erwarten – unterschiedliche Positionen. Die Vertreter der Wirtschaft waren für Sanktionen. Auch die Gewerkschaften wollen die Sanktionen nicht abschaffen, sondern reformieren. Sie sehen aber das, was die Wirtschaft so an den Strafen schätzt – die Disziplinierung der Erwerbslosen wie auch der Beschäftigten – als kritisch. Sie fordern eine Regelung, die ein vertrauensvolles Verhältnis zwischen Fallmanagern und den Langzeitarbeitslosen ermöglicht. Wie das mit Strafen funktionieren soll, bleibt das Geheimnis der Gewerkschaften, deren traditionelles Verständnis von Arbeit hier wieder einmal deutlich wird.
Für die Abschaffung der Sanktionen aus grundsätzlichen Erwägungen sprachen sich neben der Linken nur die Wohlfahrtsverbände aus. So sagte der Vertreter der Diakonie in der Anhörung, dass das Grundrecht auf das soziokulturelle Existenzminimum nicht beschnitten werden darf.
Was Sanktionen in der Jobcenter-Realität bewirken, wird in immer neuen Fällen deutlich. So scheiterte ein Mann vor dem Sozialgericht Frankfurt am Main (Az.: S 26 795/13). Ihm wurden die Leistungen gekürzt, weil er nicht zum Meldetermin erschien war. Er hatte zwar eine Krankschreibung vorgelegt, aber nicht die Reiseunfähigkeitsbescheinigung, die das Amt zusätzlich gefordert hatte. Das Sozialgericht hielt die Sanktion für rechtmäßig, da Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit des Mannes bestünden. Am gleichen Tag scheiterte auch ein Antrag der Fraktion DIE LINKE zur Abschaffung der Zwangsverrentung.** In der Anhörung, die bereits im Dezember 2014 stattgefunden hatte, hatte sich eigentlich die Mehrheit der Befragten gegen die Pflicht für Langzeitarbeitslose zur Frühverrentung ausgesprochen. Nun aber waren die Vertreter der SPD-Fraktion dafür abzuwarten, bis ein Gesamtkonzept für flexible Rentenübergänge vorliege und plädierten lediglich dafür die Ausnahme-Regelungen zu erweitern. Auch die Abgeordneten der CDU/CSU wollten auf die Ergebnisse der Arbeitsgruppe Flexi-Rente warten. Diese allerdings droht aufgrund von Meinungsunterschieden gerade zu scheitern.
Für den Antrag der Linken votierten die Grünen, weil sie in der Praxis der Zwangsverrentung einen verstoß gegen das Selbstbestimmungsrecht des Menschen sehen.

*www.linksfraktion.de **www.hartziv.org




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